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Schulen passgenau unterstützen dank umfassender Befragung

Der Wissenschaftler Benjamin Nagengast und Julia Michalla, Mitarbeiterin am regi­onalen SchuMaS-Zentrum Frankfurt, sprechen über die Ausgangserhebung zur Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“, die Arbeit mit den Schulen und wie die Ergebnisse der Erhebung in der Praxis genutzt werden.

Forschende und Lehrkräfte arbeiten zusammen. © Adobe Stock/micromonkey

200 ausgewählte Schulen nehmen an „Schule macht stark“ teil. Herr Professor Nagengast, Sie haben zum Start der Initiative Lehrkräfte und Schulleitungen an diesen Schulen befragt. Warum ist eine Ausgangserhebung so wichtig?

Nagengast: Die Ausgangserhebung ist aus mehreren Gründen wichtig. Erstens geht es uns bei „Schule macht stark“ darum, dass wir mit den Schulen zusammenarbeiten wollen und dafür die Schulen kennenlernen wollen, damit wir sie optimal unterstützen können. Dazu müssen wir natürlich erst einmal wissen, was diese Schulen jeweils auszeichnet, was die Problemlagen sind, aber auch welche Ressourcen sie haben, wie zum Beispiel eine enge Zusammenarbeit innerhalb des Kollegiums oder eine starke Vernetzung mit außerschulischen Akteurinnen und Akteuren.

Das Zweite ist, zu untersuchen wie Maßnahmen wirken. Das ist unser wissenschaftliches Interesse. Es geht uns bei „Schule macht stark“ darum, ein Angebot für Schulen zu entwickeln, die sich in verschiedenen Bereichen weiterentwickeln wollen, um damit Schülerinnen und Schüler in schwierigen sozialen Lagen besser zu fördern. Nach fünf Jahren wollen wir sehen: Wie hat das funktioniert? Und wie können wir das, was wir innerhalb der Initiative entwickeln, weiter umsetzen und auch anderswo einsetzen? Dafür erfassen wir zu Beginn den aktuellen Stand.

Der dritte Punkt ist eng damit verbunden. Es geht bei solchen Erhebungen immer auch darum zu prüfen, was wir bei unseren Maßnahmen noch verbessern und genauer anpassen können.

 

Welche Daten haben Sie an den Schulen erhoben?

Nagengast: Wir haben die Schulleiterinnen und Schulleiter befragt, die Lehrkräfte und das weitere pädagogische Personal, also beispielsweise Schulsozialarbeiterinnen. Dazu haben wir Onlinefragebögen verwendet. Im Anschluss haben wir Interviews mit den Schulleiterinnen und Schuleitern geführt.

In den Fragebögen geht es um ganz unterschiedliche Bereiche. Wir haben zum Beispiel die Lehrkräfte und die Schulleitungen danach gefragt, wie gut sie sich selbst einschätzen in Bezug auf die Förderung in verschiedenen Kompetenzbereichen. Daneben haben wir generelle Informationen über die Zusammensetzung der Schülerschaft der Schulen erfasst. Wir haben die Lehrkräfte aber auch nach individuellen Wahrnehmungen, zum Beispiel bei Belastungen an ihrer Schule gefragt.

Es ist eine sehr breit angelegte Erhebung, die ganz maßgeblich von den Teams der vier Inhaltscluster, die an SchuMaS beteiligt sind, mitgestaltet wurde. So erhalten wir Informationen über alle relevanten Bereiche der vier Handlungsfelder, in denen wir mit den Schulen zusammenarbeiten.

 

Entsprechen die Ergebnisse Ihren Erwartungen?

Nagengast: An „Schule macht stark“ beteiligen sich sehr stark belastete Schulen. Wenn man den Vergleich zieht zu anderen großen Bund-Länder-Initiativen wie zum Beispiel „Leistung macht Schule“, dann sieht man direkt, dass die Schulen unserer Initiative deutlich stärkere Belastungen und größere Entwicklungsbedarfe sehen. Die Schulen stehen wirklich großen Herausforderungen gegenüber, beispielsweise sehr unterschiedlichen Lernvoraussetzungen bei den Kindern und Jugendlichen bei einem hohen Anteil an leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern.

Aus den erhobenen Daten haben wir detaillierte Rückmeldungen für die einzelnen Schulen erarbeitet. Diese Rückmeldungen sollen den Schulen als Basis dafür dienen, die Angebote der Initiative „Schule macht stark“ optimal für sich zu nutzen. Hier kommen die regionalen SchuMaS-Zentren ins Spiel, die die Schulen dabei unterstützen.

 

Frau Michalla, Sie arbeiten für das regionale SchuMaS-Zentrum in Frankfurt am Main. Was sind Ihre Aufgaben dort?

Michalla: Wir sind am regionalen SchuMaS-Zentrum in Frankfurt zuständig für die Begleitung der teilnehmenden Schulen in drei Ländern: für die Schulverbünde in Hessen, in Thüringen und in einem Teil von Bayern. Wir fungieren als eine Art Gelenkstelle. Wir kommunizieren mit den Schulen, wir koordinieren und wir übernehmen Aufgaben in den Inhaltsclustern.

Unser Hauptaugenmerk liegt unter anderem darauf, innerhalb der Schulverbünde die Netzwerktreffen, bei denen sich die Schulleitungen miteinander vernetzen und austauschen können, vorzubereiten und durchzuführen. Daneben versuchen wir die Schulen bestmöglich zu begleiten, ihre Fragen zu beantworten und sie bei der Wahl der passenden SchuMaS-Angebote zu unterstützen.

 

Die regionalen SchuMaS-Zentren sind dabei eingebunden, die Ergebnisse der Ausgangserhebung an die Schulen zurückzumelden. Wie wurde das konkret umgesetzt?

Michalla: Bei den ersten Netzwerktreffen der Schulleitungen haben wir die Schulen bereits auf die Rückmeldungen vorbereitet, die sie dann kombiniert mit einem Reflexionsimpuls per E-Mail vom regionalen SchuMaS-Zentrum bekamen.

Bei den zweiten Schulleitungsnetzwerktreffen hat dieses Thema einen großen Raum eingenommen. Wir haben die Rückmeldungen gemeinsam mit den Schulleitungen ausgewertet und sind damit in die Bestandsaufnahme eingestiegen. Wir unterstützen die Schulen dabei, aus den Ergebnissen abzuleiten, wo sie Bedarf für Entwicklung haben, und dann die nächsten Schritte für sich zu planen. Ab Sommer 2022 können sich die Schulen für SchuMaS-Angebote für das Schuljahr 2022/2023 registrieren. Wir unterstützen die Schulen dabei, die für ihre spezifische Situation passenden Angebote aus den vier Handlungsfeldern von „Schule macht stark“ auszuwählen.

Wenn sich beispielsweise in den Ergebnissen zeigt, dass eine Schule sich beim Klassenklima noch verbessern kann, dann kann sich die Schule zum SchuMaS-Workshop „Von der Klasse zum Team“ anmelden.

 

Herr Nagengast, wie sind denn die Ergebnisse im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler?

Nagengast: Die Lehrkräfte schätzen den Förderbedarf in Mathematik und Deutsch insgesamt als hoch ein. Sie geben an, dass bis zu 30 bis 40 % der Schülerinnen und Schülern das Basiskompetenzniveau in diesen Fächern nicht erreichen. Es wird also ein großer Entwicklungsbedarf genau in den Fächern gesehen, die bei SchuMaS Schwerpunkte im Handlungsfeld Unterrichtsentwicklung sind. Zu diesen Fächern werden zahlreiche, unterschiedliche Module für Lehrkräfte angeboten.

 

Die Ergebnisse der Ausgangserhebung beziehen sich jeweils auf die einzelnen Schulen. Ist denn geplant, dass die Schulen sich mit anderen Schulen vergleichen?

Nagengast: In den Schulleitungsnetzwerken, in denen vergleichbare Schulen zusammengeschlossen sind, haben die Schulleitungen die Möglichkeit, ihre Daten nebeneinander zu legen. Was ist bei uns rausgekommen und was ist bei euch rausgekommen? Was sind mögliche Gründe und was Konsequenzen, die man daraus ziehen kann?

Vergleichen kann helfen, besser zu verstehen. Wie stehen wir denn jetzt mit den Bedarfen, die zum Beispiel von unseren Lehrkräften geäußert wurden, im Vergleich zu benachbarten Schulen da? Das ist kein Leistungsvergleich, sondern es geht darum, zu charakterisieren, was macht denn jetzt unsere Schule mit unserem Entwicklungsbedarf aus? Und da kann es natürlich ganz hilfreich sein, wenn man sieht, bei uns haben 30 % der Lehrkräfte gesagt, sie haben Entwicklungsbedarf bei der Förderung von leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern. Sind das nun viele oder wenige? Wenn es in den Nachbarschulen 70 % der Lehrkräfte waren, dann ist es im Vergleich eher wenig. Wenn es in den Nachbarschulen aber nur 10 % der Lehrkräfte waren, dann ist es vielleicht – obwohl die Zahl 30 % erst mal nach wenig aussieht – doch ein Wert, bei dem man sagt, hier sollten wir handeln und können vielleicht auch von anderen Schulen etwas lernen.

Damit stellen wir die eigenen Daten in einen Kontext. Vergleiche sollen dazu dienen, Entwicklungsprozesse anzustoßen und die Prozesse, die Frau Michalla geschildert hat, in die richtigen Bahnen zu lenken.

 

Wo sehen das pädagogische Personal und die Schulleitungen insgesamt den größten Handlungs- oder Entwicklungsbedarf?

Nagengast: Ganz vorne steht die Förderung der Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Mathematik bei lernschwachen Schülerinnen und Schülern. Das ist der Bereich, bei dem die Lehrkräfte sagen, da haben sie Professionalisierungsbedarf. Auch die Schulleitungen sagen, da müssen wir als Schule besser werden.

Wir hatten in der Ausgangserhebung auch die Frage: Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit der Lehrkräfte mit dem weiteren pädagogischen Personal? Die Zusammenarbeit innerhalb der Schule wird insgesamt als relativ positiv beschrieben. Aber viele Schulleitungen und Lehrkräfte sehen Entwicklungsbedarf dabei, die Schulen in den größeren Sozialraum einzubinden, bei der Arbeit mit Organisationen vor Ort, bei der Einbindung in den Stadtteil oder in die Gemeinde.

Professor Benjamin Nagengast und Julia Michalla vom regionalen SchuMaS-Zentrum Frankfurt im Online-Interview. © Benjamin Nagengast und Julia Michalla

 

Frau Michalla, Sie waren, bevor Sie ins regionale SchuMaS-Zentrum gewechselt sind, selbst Lehrerin an verschiedenen Schulen. Was ist Ihre Perspektive auf den Bereich Sozialraumorientierung?

Michalla: Ein zentraler Aspekt bei der Vernetzung der Schulen im Sozialraum ist, den Kindern und Jugendlichen innerhalb des schulischen Alltags Möglichkeiten zur Teilhabe zu bieten und Angebote zu machen, zu denen sie außerschulisch weniger Zugang hätten.

Beim Thema Berufsorientierung ist es für ältere Schülerinnen und Schüler beispielsweise sehr von Vorteil, wenn eine Schule gute Kontakte zu ortsansässigen Firmen und Unternehmen hat. Praktika können für einen gelingenden Übergang zwischen Schule und Beruf entscheidend sein. So mancher Jugendliche hat nach einem Berufspraktikum verstanden, warum es sich lohnt, sich in den letzten Schuljahren nochmal gezielt mit den fachlichen Inhalten auseinanderzusetzen.

Um die Schulen bei der Vernetzung in ihrem Umfeld zu unterstützen, gibt es innerhalb von „Schule macht stark“ gezielte Angebote zur Schulentwicklung, die sich an die schulischen Führungskräfte, die Lehrkräfte und an das übrige pädagogische Personal wenden.

 

Herr Professor Nagengast, was ist ihr nächster Schritt bei „Schule macht stark“?

Nagengast: Innerhalb der Laufzeit von „Schule macht stark“ ist eine zweite Erhebung zum Ende des Schuljahres 2022/2023 vorgesehen. Diese planen wir anhand der Erfahrungen aus der Ausgangserhebung. Bei dieser Zwischenerhebung überlegen wir schulspezifischer zu fragen, gerade weil ein Feedback aus den Schulen war: Wenn wir gewusst hätten, dass die Datenrückmeldungen so direkt in die Entwicklungsprozesse einfließen, dann hätten wir noch intensiver teilgenommen! Darauf wollen wir aufbauen und sicherstellen, dass die Schulen auch an dieser Stelle wirklich optimal von ihrer Teilnahme profitieren können.

Wir wissen, dass wir den Kollegien und den Schulleitungen viel abverlangt haben, was den zeitlichen Aufwand anbelangt. Wir sind sehr dankbar, dass sie daran teilgenommen haben. Aber wir arbeiten daran, den Aufwand möglichst zu verringern und gleichzeitig die Inhalte noch mal passgenauer für die Schulen zu machen. Die Befragungen sind ja kein Selbstzweck, sondern sollen ganz konkret unserer Zusammenarbeit mit den Schulen dienen. Die Schulen sollen optimal profitieren können.

Michalla: Dem stimme ich vollkommen zu. Ich möchte gerne noch ergänzen, dass letzten Endes die Schülerinnen und Schüler von unserer Arbeit profitieren sollen. Es geht darum, ein Lehr-Lern-Umfeld zu gestalten, das den Kindern und Jugendlichen zugutekommt und das ihnen ermöglicht, ihre Potenziale zu entfalten. Gerade auch in meiner Profession als Lehrerin ist mir wichtig, dass die Initiative ganz konkret bei den Schülerinnen und Schülern wirkt.

Das ist ein schönes Schlusswort! Frau Michalla, Herr Professor Nagengast, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Weitere Informationen

Die vier Handlungsfelder und Inhaltscluster von SchuMaS

Die Initiative „Schule macht stark“ unterstützt die beteiligten Schulen in vier Handlungsfeldern:

  • Unterrichtsentwicklung Deutsch und Mathematik
  • Professionalisierung
  • Schulentwicklung und Führung
  • Außerunterrichtliches Lernen und Sozialraumorientierung

In den vier zugehörigen Inhaltsclustern entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit den Schulen wirksame und praxistaugliche Maßnahmen. Die Arbeit in den vier Inhaltsclustern wird begleitet durch drei Metacluster, das Metacluster „Evaluation“ ist eines davon.

Die regionalen SchuMaS-Zentren

Die vier regionalen SchuMaS-Zentren sorgen deutschlandweit für eine intensive Kooperation zwischen der Wissenschaft und der Schulpraxis. Sie betreuen jeweils 40 bis 60 Schulen aus mehreren Bundesländern. Die Mitarbeitenden der Zentren arbeiten eng mit den Bundesländern und deren Landesinstituten – wie beispielsweise Schulaufsichtsbehörden und Qualitätseinrichtungen – zusammen. Sie beraten und unterstützen die Schulen in regionalen Netzwerken, den "SchuMaS-Schulverbünden". Die gemeinsame Arbeit wird jeweils an den Bedarf der einzelnen Schule angepasst und fortlaufend weiterentwickelt.

 

Prof. Dr. Benjamin Nagengast

Benjamin Nagengast ist Professor für Pädagogische Psychologie am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen. Innerhalb des SchuMaS-Forschungsverbundes leitet er das Metaclusters „Evaluation“. Nachdem er Psychologie studiert hat, war er an den Universitäten in Jena und in Oxford (UK) tätig. Seit 2011 lehrt er an der Universität Tübingen. In seiner Forschung legt er Schwerpunkte auf quantitative Forschungsmethoden und auf die Evaluation von Interventionsprogrammen.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Michalla

Julia Michalla arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am regionalen SchuMaS-Zentrum Frankfurt. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit dort liegt im Bereich Unterrichtsentwicklung im Fach Deutsch sowie im Themenfeld Sonderpädagogik. Vor ihrer Tätigkeit für das regionale SchuMaS-Zentrum hat sie seit 2007 als Förderschullehrerin Schülerinnen und Schüler in den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen, emotionale/soziale Entwicklung und geistige Entwicklung an verschiedenen Grundschulen sowie weiterführenden Schulen unterstützt und unterrichtet. Sie war zudem Stufenleiterin an einer Förderschule.